förderinhalte

mit Blick auf belastete Kinder

Lernhürden (DaZ)

Förderinhalte – Lesen

DaZ-Kinder haben im frühen Schriftspracherwerb meist mehr und größere Lernhürden zu überwinden als rein deutschsprachig aufgewachsene Kinder. Dabei spielen Phonologie, Wortschatz, Fachwortschatz, Grammatik (vor allem Deklination und Flexion), Syntax und die Fähigkeit zu sprachintuitiver und automatisierter Fehlerselbstkorrektur eine wesentliche Rolle.

 


Im folgenden Überblick werden zentrale und häufig vorkommende Lernhürden für DaZ-Kinder beim Erwerb der Lesekompetenz beschrieben.

 

Silbensegmentierung:
Wörter in Silben aufzugliedern fällt vielen DaZ-Kindern schwer, weil
Silbensegmentierung nur mit bekanntem Wortschatz umsetzbar ist. Zudem unterscheiden sich Herkunftssprache und Zweitsprache Deutsch in der Wort- und Satzprosodie (Betonung, Tempo, Rhythmus). DaZ-Kinder können mangels Erfahrung nicht oder nur wenig auf Kinderlieder und Kindertexte auf Deutsch aus der Vorschulzeit zugreifen, was eine Silbensegmentierung erheblich erschwert. Förderdidaktische Anregungen: Üben nur mit bekanntem Wortschatz, mit anfänglich nur kurzen Wörtern und vielfältig motorisch unterstützt (klatschen, stampfen, …). Häufige Wiederholungen mit bekanntem Wortschatz sichert das neue Wissen.

Anlaute hören:
DaZ-Kinder müssen sich zu Beginn in der phonologischen Welt des Deutschen orientieren. Sie haben die Phonologie ihrer Erstsprache präsent und müssen in die Feinheiten der Phonologie der Zweitsprache einsteigen. Die verschiedenen Erstsprachen unterscheiden sich erheblich in ihren phonologischen Unterschieden zur deutschen Sprache. Förderdidaktische Anregungen:
Anlautübungen sind für DaZ-Kinder besser nachvollziehbar, wenn sie mit der Buchstabeneinführung verbunden sind. Wichtig ist die Verwendung von bekannten Wörtern. Es gibt gut hörbare und weniger gut hörbare Phoneme. Anfänglich leichter für DaZ-Kinder zu hören sind nasale Laute (M,N,…) und frikative Laute (f,s,sch,…). Die plosiven Laute (p,t,k) hört man nur kurz und sind somit schwieriger zu identifizieren. Deutsch gehört zu den vokalreichen Sprachen. Hier ist eine langsame und mit viel Übung verbundene Einführung (beginnend mit a,e,i,o,u – kurz und
lang – ) nötig. Dabei sollte anfänglich i.d.R. nur ein begrenzter Grundwortschatz zum Einsatz kommen.

Reime bilden
Reime bilden fällt DaZ-Kindern sehr schwer. Oft fehlt ein ausreichend differenzierter Wortschatz , um passende Reimwörter zu finden. Förderdidaktische Anregungen: Reimbildung sollte nur mit vorgegebenen Wörtern geübt werden. Auch hier ist stets auf einen bekannten Wortschatz zurück zu greifen. Eigenständiges bilden von Reimpaaren ohne Vorgaben ist oft sehr überfordernd.

 

Alphabetisierung: Lesen und Schreiben durch systematische Lehrgangsarbeit
DaZ-Kinder müssen zuerst die phonetischen Eigenheiten der deutschen Sprache erlernen. Das Vorwissen der DaZ-Kinder in Phonetik, Wortschatz, Syntax und Grammatik ist sehr heterogen. Die Forschungslage (siehe Jeuk 2015) sagt, dass für die meisten DaZ-Kinder ein systematischer Lehrgang zu Einführung der Buchstaben und der Graphem-Phonem-Zuordnungen der erfolgreichere methodische Zugang ist. Der Hauptgrund liegt in der doch großen Herausforderung der vielen Details der Phonetik und Orthographie in der deutschen Sprache – gespickt mit etlichen Ausnahmen und Sonderheiten. Förderdidaktische Anregungen: Eine strukturierte, langsame und genaue Einführung aller Buchstaben und Buchstabenkombinationen in Verbindung mit den zugehörigen Lauten und Lautkombinationen hilft den DaZ-Kinder ganz erheblich beim phonetischen Recodieren und Decodieren. Längere Phasen des Übens der gelernten Zeichen ohne gelichzeitige Einführung von neuen Buchstaben erwiesen sich als effektiv (Richtgröße: nach 8 eingeführten Buchstaben zwei Wochen reine Übungszeit).

Lautgetreue und nicht-lautgetreue Wörter
Deutsch ist überwiegend (ca. zu 70 Prozent) eine lautgetreue Sprache. Die Alphabetisierung basiert auf dem Prinzip der Graphem-Phonem-Korrespondenz. Jedes Zeichen wird möglichst eindeutig einem Laut zugeordnet. Wenn man diese Laute dann verbindet/verschleift (Synthese) entsteht ein Klangbild, dem im Abgleich mit dem semantischen Lexikon dann eine Bedeutung zugeordnet werden kann. Förderdidaktische Anregungen: Die Graphem-Phonem-Korrespondenz verbunden mit der Synthesearbeit kann mit lautgetreuen Wörtern am leichtesten erlernt werden. DaZ-Kinder müssen bis zur sicheren Automatisierung des Recodierens und Decodierens von lautgetreuen Wörtern ‚geschützt’ werden vor schwierigen Graphem-Phonem-Zuordnungen (wie zum Beispiel sch, tt, ck, ie, ieh, ng, qu, ee, ch, x, tz, sp, st, …). Zu frühes Üben von nicht lautgetreuen Wörtern verwirrt die DaZ-Kinder und verhindert das sichere Verstehen des Grundprinzips.

Synthesearbeit und Decodieren
Bei der Worterkennung durch phonetisches Recodieren wird Buchstabe für Buchstabe und Laut für Laut entschlüsselt. Dabei müssen die einzelnen Laute verbunden werden, damit ein wortähnliches Klangbild entstehen kann. Dieses Verschleifen der Laute, dieses phonetische Zusammenziehen der Laute macht die Synthese aus. Auf Grund des meist begrenzten Wortschatzes und der begrenzten Spracherfahrung können Daz-Kinder oft nur langsam die Synthese bilden, finden nicht so schnell die richtige Intonation und produzieren öfters ein Gesamtklangbild, das dem wirklich passenden Klangbild (Tiiigeeeer statt Tiger) oft zu wenig ähnlich ist, um die semantische Bedeutung durch den Abgleich mit dem semantischen Lexikon (auditiv gespeichert) deutlich werden zu lassen. Förderdidaktische Anregungen: Es helfen Syntheseübung folgender Art:
– Übungen anbieten, in denen ein fester Konsonant mit wechselnden Vokalen vorgegeben wird (ma, me, mi, mo , mu, …) – in der Folge können dann lautgetreue kurze Wörter synthetisiert werden mit Übungen zu einer flexiblen Intonation (Laute verkürzen und verlängern)
– Wortschatz vorgeben, der phonetisch und semantisch den Kinder klar ist (also Wörter, mit denen das erlesene Klangbild leicht erkennbar wird, auch wenn die Intonation nicht auf den ersten Versuch hin genau passt)
– anfänglich nur lautgetreue Wörter vorgeben
– anfänglich nur kurze Wörter vorgeben

Übungswortschatz
Phonetisches Recodieren erfordert vielfältige visuelle, auditive, mentale, motivationale und volitionale Anstrengungen. Am Ende soll der semantische Inhalt eines Wortklangbildes erkannt werden. Förderdidaktische Anregungen:
Der Übungswortschatz muss bestimmte Qualitäten aufweisen. Das Lernprinzip heißt: zuerst das Grundprinzip des phonetischen Recodierens lernen und danach die Sonderheiten lösen. Hierfür muss der Übungswortschatz anfänglich drei Kriterien erfüllen:
1. Übungswörter müssen lautgetreu aufgebaut sein
2. Übungswörter sollen kurz sein (ein- oder zweisilbig)
3. Übungswörter sollen inhaltlich und phonetisch den DaZ-Kindern völlig klar sein

Visueller und auditiver Zugriff auf größere Einheiten
Der Zugriff auf größere Einheiten (mehrgliedrige Buchstaben, Silben, Morpheme, Signalgruppen, kurze Wörter sowie Häufigkeitswörter) setzt das automatisierte phonetische Recodieren bei lautgetreuen Wörtern (mit mindestens zwei Silben) voraus. Ein Teil der DaZ-Kinder verfügt über nur einen eingeschränkten Wortschatz. Dies bedeutet, dass das Decodieren eines Wortes (also die Bedeutungszuschreibung) nur im Rahmen des bekannten Wortschatzes möglich ist. Bei spezifischen ‚Lieblingsthemen’ kann jedoch durchaus ein breiterer Wortschatz zur Verfügung stehen. Förderdidaktische Anregungen: Die größeren Einheiten sollten anfänglich mit einem eng umgrenzten Wortschatz geübt werden. Auch hier gelten die Grundsätze: eher kurze Wörter anbieten und Wörter die inhaltlich völlig klar sind. Regelmäßige Blitzwort-Leseübungen bei den Häufigkeitswörtern und Wortfelder erstellen mit gleichen Morphemen, Signalgruppen oder Vor- und Endsilben sind hilfreiche Übungen. Wenn die Kinder dabei selbständig Übungswörter suchen ist jeweils gewährleistet, dass sie auch inhaltlich geklärt sind. Ein Übungsheft und/oder ein Karteikasten, in denen die bereits geübten/gelernten Wörter festgehalten sind, unterstützen Wiederholungsübungen.
Erste orthographische Übungen
Beim schnellen Zugriff auf Häufigkeitswörter bietet es sich an, die ersten orthographischen Lerneinheiten zu etablieren. Förderdidaktische Anregungen: Eine begrenzte Zahl von Lernwörtern mit je ähnlichen orthographischen Eigenheiten (zum Beispiel Großschreibung, Vorsilbe ‚ver’, Dehnungs-h beim Wortstamm ‚fahren’, etc. ) hilft den DaZ-Kinder erste orthographische Regelmäßigkeiten zu erkennen.

Sprachliche Herausforderungen in Übungssätzen eingrenzen
Es reicht beim Lesen von Sätzen nicht, die einzelnen Wörter zu recodieren und zu decodieren, sondern man muss die inhaltliche Aussage des gesamten Satzes konstruieren. In diesem Sinne erfordert das Lesen von Sätzen mindestens drei Fähigkeiten: eine gute Worterkennung, ein klares Wissen über den inhaltlichen Kontext, in dem der Satz steht („Der Ritter sitzt auf seinem Pferd.“) und ein Mindestmaß an Leseflüssigkeit. Die qualitativen und quantitativen Kriterien der Satzstruktir entscheiden über die Verstehenschancen bei den DaZ-Kindern. 

Förderdidaktische Anregungen: Die Übungssätze sollten anfänglich folgende Kriterien erfüllen:


– Übungssätze sollten als einfacher Hauptsatz ohne Nebensatz konstruiert sein

– Die Sätze sollten kurz bis sehr kurz sein.
– Die vorkommenden Wörter sollten den DaZ-Kindern inhaltlich klar sein.
– Die Sätze sollten anfänglich möglichst nur lautgetreue Wörter enthalten.
– Die Wörter in den Sätzen sollten nur ein- oder zweisilbig sein.
– Die Sätze sollten in einem dem Kind bekannten Kontext handeln.


Die Berücksichtigung dieser Kriterien ermöglicht es den DaZ-Kindern, den Satz in einer angemessenen Geschwindigkeit zu lesen, so dass eventuell durch mehrmaliges vor sich hinsprechen ein inhaltliches Verstehen möglich wird. Treten zu viele Schwierigkeiten schon bei der Worterkennung auf (zu langes Wort oder unbekannte Wortbedeutung oder zu viele lange Wörter hintereinander, …) , dann kann ein Satz in seiner gesamten Klanggestalt nicht auditiv produziert werden.

Sprachliche Herausforderungen in kurzen Texten eingrenzen
Wer kurze Texte verstehen will, der muss mindestens vier Fähigkeiten besitzen: eine schnelle Worterkennung, eine ausreichende Leseflüssigkeit, eine klare Erkennung der einzelnen Satzinhalte und das Verknüpfen der einzelnen Satzinhalte zu einem Textverständnis. Hierfür sollten Texte anfänglich bestimmte Kriterien erfüllen. 

Förderdidaktische Anregungen: Ziel muss sein, dass der Übungstext das DaZ-Kind nicht überfordert. Hierzu sollte der Text folgende Kriterien erfüllen:


– Der Übungstext sollte kurz sein (drei bis sieben Sätze).
– Es sollten nur kurze Hauptsätze vorkommen.
– Die Wörter im Text sollten ebenfalls kurz sein (große Schwierigkeiten bei der einzelnen Worterkennung lässt keine kognitiven Kapazitäten für das Textverstehen übrig).
– Alle Wörter im Text sollten dem Kind inhaltlich klar sein.
– Der Text sollte durch Bilder, Skizzen, Fotos, … inhaltlich unterstützt sein.
– Der Gesamtkontext des Textes sollte dem Kind vertraut sein.
– Lieblingsthemen der Kinder sollten bei der Textauswahl so weit möglich stets berücksichtigt werden.

Pronomen, Adverbien und Konjunktionen als Mittel der inhaltlichen Satzverknüpfungen
Pronomen, Adverbien und Konjunktionen abstrakte Informationsmittel im Satz („Sie fliegt nach oben, aber der Zauberstab fällt unten in den Brunnen.“). Wer mit „sie“ gemeint ist, wo genau „oben“ ist, was das „aber“ genau bedeutet ist erst mal abstrakt und muss sich erst durch Informationen in den anderen nahe stehenden Sätzen erschließen. 

Förderdidaktische Anregungen: Der Umgang mit Pronomen, Adverbien und Konjunktionen bei ersten Leseversuchen muss im Unterrichtsgespräch explizit angesprochen und geübt werden:

– Die kurzen Texte sollten anfänglich nur syntaktisch gut verstehbare Pronomenzuordnungen anbieten (zum Beispiel wird die Hexenfigur abwechselnd mit„Hexe“ oder mit „sie“ verschriftet, weitere Pronomen werden erst schrittweise eingeführt).
– Die Pronomenzuordnungen müssen mündlich bei der Textvorbereitung erklärt werden (Impuls: „Wie kann man denn zur Hexe noch sagen?“).
– Die Adverbien können nur durch Informationen aus anderen Sätzen oder Satzteilen verstanden werden. Kinder müssen im Unterrichtsgespräch auf Bedeutungsmöglichkeiten der Adverbien angesprochen werden und gefragt werden, wo denn im Text beschrieben ist, was „oben/unten“ bedeutet.
– Konjunktionen sind besonders schwierig zu vermitteln. Anfänglich sollten nur die Konjunktionen „dann“, „danach“, „und“ sowie „oder“ verwendet werden. Andere Konjunktionen wie „aber“, „jedoch“, „trotzdem“, etc. sind bei ersten Leseversuchen oftmals zu abstrakt und schwer verständlich.

Motivation und Anstrengungsbereitschaft
Ziel von Lesedidaktik ist ja stets die Ermöglichung von intrinsischer Lesemotivation. Diese entsteht jedoch nur im Laufe von vielen Erfolgserlebnissen im Leselernprozess. Da DaZ-Kinder meist erhebliche Lernhürden beim Spracherwerb überwinden müssen ist gut nachvollziehbar, dass die Auswahl von Texten von großer Bedeutung für den Erhalt von Motivation und Anstrengungsbereitschaft ist. Hauptkriterium dabei ist, Überforderungssituationen möglichst zu vermeiden und Erfolgserlebnisse durchgängig zu ermöglichen.

Kompetenzmodel Lesen

Diagnose zur Förderung