schulentwicklung

mit Blick auf belastete Kinder


Elemente für Erfolg und Nachhaltigkeit

Schulentwicklung

Die große Zahl der belasteten Kinder erfordert ein professionelles Fördermanagement. Die Schulleitungen müssen die Lehrerinnen durch problemlösende Strukturen unterstützen. Die nachfolgend erläuterten fünf Bereiche eines kooperativen Schulentwicklungsprozesses haben sich in unseren Netzwerkschulen als effektiv und für die Lehrerinnen arbeitsökonomisch als praktikabel herausgestellt:

 

Jede Grundschule sollte genau wissen, wie viele belastete Kinder sie unterrichtet und von welcher Art die Belastungen sind. Im Folgenden ist das diagnostische Vorgehen für die Klassenstufen 1 und 2 beschrieben. Dabei haben wir immer auf Triangulation Wert gelegt. Wir haben verschiedene Beobachtungs- und Testmethoden angewendet, um Fehleinschätzungen und einseitige Perspektiven zu vermeiden.

Unterschiedliche Einschätzungen zu einem Kind konnten auf der Basis der Triangulation diskutiert und fokussiert werden. Zur Einschätzung von Förder- und Unterstützungsbedarfen haben wir den hier vorgeschlagenen Zeitablauf als effektiv und arbeitsökonomisch erlebt. Wichtig war uns, die diagnostische Phase schon vor dem Beginn des neuen Schuljahres zu etablieren.

Abb. 2 zeigt ein Beispiel eines diagnostischen Zeitablaufs für die 1. Klasse. Es ist strukturiert als Frühwarnsystem für belastete Kinder mit dem Ziel, dass die Förderung – diagnostisch professionell unterfüttert – gleich zu Beginn des neuen Schuljahres umgesetzt werden kann. Als standardisierte Testverfahren wurden das Salzburger Lesescreening 1-4, die Hamburger Schreibprobe und der Demat 1+ eingesetzt (alle drei Verfahren sind für Grundschullehrkräfte entwickelt worden).

 

April 2019

Juli 2019

Ende Juli 2019

Ende Sept. 2019

Diagnostik von Anfang an

Vorausschauende Analyse des Einschulungs-verfahren

Analyse der Vorkurs-leistungen

Diskurs über vermutliche Sorgenkinder

Fallbesprechung und Zuweisung zur Fördergruppe

Fazit: Dieser zeitliche Ablauf gewährleistet, dass keine Förderzeit verloren geht. Die Fördermaßnahmen können – diagnostisch unterfüttert – schon bald nach Schuljahresbeginn starten.

 

Wichtig war eine professionelle Durchführung der standardisierten Testverfahren. Alle beteiligten Lehrkräfte waren sehr interessiert am diskursiven Abgleich der Testergebnisse mit ihren Beobachtungen und Einschätzungen. Die pädagogische Diagnostik hat nicht nur das Ziel, die Sorgenkinder den passenden Fördergruppen zuzuweisen, sondern muss auch auf Basis von fachlichen Kompetenzmodellen die Steuerung der individuellen Förderung ermöglichen. Belastete Sorgenkinder müssen individuell gefördert werden. Dies gelingt nur dann effektiv, wenn jeweils in der individuell passenden Zone der Lernentwicklung gefördert wird.

 
 
 

An dreizügigen Grundschulen in sozialen Brennpunktvierteln erfassten wir zwischen 70 und 85 Kinder mit spezifischem Förder- und Unterstützungsbedarf. An einer fünfzügigen Schule mussten wir bis zu 150 Kinder als Risiko- und Sorgenkinder definieren. Zählt man die offiziellen und verborgenen Inklusionskinder hinzu, steigt die Zahl nochmals an. Hier wird die Etablierung eine Koordinationslehrkraft mit folgendem Aufgabenspektrum notwendig:

  • Überwachung und Durchführung der standardisierten Testverfahren
  • Initiierung von pädagogischen Diskursen zwischen den Lehrkräften zu den gesammelten Testergebnissen und Schülerbeobachtungen für die Förderkurszuteilungen
  • Strukturierung der Fördergruppen nach Bedarf und Förderwichtigkeit
  • Einberufung und Durchführung eines regelmäßigen Jour fixe mit Teamfallbesprechungen auf Klassenstufenebene
  • Aufbau eines externen Netzwerkes mit wichtigen Institutionen und Professionen (z. B. Schulsozialarbeit, Schulpsychologin, Mobiler Sonderpädagogischer Dienst, Beratungslehrerin, Sozialbürgerhaus, Kinderärztin, Augen- und Ohrenärztin, Therapeutin) und Vernetzung mit den betroffenen Klassenlehrkräften
  •  Feinjustierung der Fördergruppen während des Schuljahres
  • Fachliche Unterstützung der Förderlehrkräfte

Eine Förder-Koordinationslehrkraft benötigt Ermäßigungsstunden. An unseren Projektschulen konnten manchmal mehr, manchmal weniger kreativ Stundenermäßigungen gefunden werden. Zudem sind in den ersten Wochen des Schulbeginns stets bestimmte schülerbezogene Stunden bis Ende September frei (ähnlich im Juli am Ende des Schuljahres), die dafür genutzt werden können.

 

Nach einigen Experimenten hat sich der jahrgangsbezogene Jour fixe erfolgreich bei den beteiligten Lehrerinnen der Projektschulen etabliert. An dem jahrgangsbezogenen Jour fixe sind in der Regel alle Klassen- und Förderlehrkräfte sowie die Förder-Koordinationslehrkraft beteiligt. Manchmal stoßen externe Expertinnen dazu. Einmal alle 4-6 Wochen treffen sich alle Beteiligten der Jahrgangsstufe für übergeordnete Themen, ansonsten nur die direkt betroffenen Lehrpersonen zu Team-Fall-Besprechungen für die belasteten Kinder einer Klasse.

Wichtig für die Lehrerinnen war, dass bei den Jour fixes stets konkret ihre Sorgenkinder pädagogisch-analytisch diskutiert wurden. Unter diesen Umständen erlebten die betroffenen Lehrerinnen den zusätzlichen Zeitaufwand des Jour fixe als bereichernd und entlastend.

Eine erfolgreiche und effektive Förderung der belasteten Kinder hängt von klaren Qualitätsentscheidungen der Schulleitung und der Projektsteuergruppe ab. Entscheidend dafür war eine frühzeitige Festlegung der Qualitätskriterien vor der Erstellung des Stundenplans für das neue Schuljahr. Nur im Kontext der folgenden Qualitätskriterien wird das Fördermanagement von den Lehrerinnen akzeptiert und ist aus der Perspektive der Kinder effektiv:

  • Die Fördergruppen sind auf maximal sechs belastete Kinder beschränkt.
  • Jede Fördergruppe ist ausschließlich in der Hand einer einzigen Lehrerin.
  • Jede Fördergruppe erhält drei bis fünf Förderstunden (je nach Förderbedarf).
  • Die Fördergruppe findet mindestens an drei Tagen in der Woche statt.
  • Der jahrgangsbezogene Jour fixe dient zur regelmäßigen Team-Fall-Besprechung.
  • Die Schulleitung eröffnet Möglichkeiten zu passenden Fortbildungen.

Aus fachlicher Sicht sind bei belasteten Kindern Lernprozessbeobachtungen wichtig. Realistischerweise zeigt der Schulalltag, dass die Lehrerinnen hier fachliche Unterstützung brauchen. Wir haben deshalb eine spezifische Form der Lernprozessbeobachtung entwickelt (der Dritteljahresbericht) und diese mit folgenden Aspekten vorstrukturiert (Ankreuzmöglichkeiten mit der Skala: durchschnittlich, unterdurchschnittlich, schwach, sehr schwach):

  • Lesekompetenz (Wort, Satz, Text)
  • Rechtschreibkompetenz (lautgetreu, orthographisch, regelgeleitet)
  • Mathematik (nach Zahlenräumen geordnet)
  • Sprache (Alltagswortschatz, Grammatik, Syntax)
  • Lernverhalten (Motivation, Konzentration, Anstrengungsbereitschaft)
  • Sozialverhalten (soziale Verantwortung, Kooperation, Kommunikation)
  • Biographischer Lernkontext (DaZ, Herkunft, Kindergartenbesuch, häusliche Unterstützung, Alltagssprache zu Hause)
     

Der Dritteljahresbericht soll Ende Januar, Ende April und Mitte Juli ausgefüllt werden, sodass Lernprozesse erkennbar und eine Entscheidungsbasis für eine weitere Förderung und zusätzliche Unterstützung datenbasiert reflektiert werden können. Diese Dritteljahresberichte werden nur für die besonders belasteten Kinder durch die Förderlehrkräfte in Kooperation mit den Klassenlehrkräften erstellt. Der zeitliche Aufwand ist gering.

Alternativ experimentieren wir mit einer rein digitalen Lernprozessbeobachtung die datengeschützt die Möglichkeit für die berechtigten Förderpersonen bietet, jederzeit online Schülerbeobachtungen und Förderplanvorschläge arbeitsökonomisch zu dokumentieren (siehe Anlage “Förderdiagnostik-digital”).

Bisherige Erfolgsbilanz:

Erfolge stellen sich schnell ein. Die Projektschulen in den SWM-geförderten Schulen beschäftigen sich intensiver mit ihren belasteten Kindern. Die Zahl der Team-Fallbesprechungen nimmt stark zu. Verschiedene Formen der Lernprozessdiagnostik werden vermehrt etabliert. Die Sorgenkinder sind das ganze Schuljahr auf dem pädagogischen Bildschirm der Schulleitung und der Klassenlehrkräfte. Verzögerungen bei externen Hilfeanfragen werden schneller wahrgenommen und abgestellt. Die Kooperationen mit außerschulischen Institutionen nehmen zu und werden professioneller gestaltet.

Die Zahl der Stundenausfälle in den Fördergruppen nehmen ab, weil die Schulleitung vermehrt alternative Vertretungsmodelle anwendet. Erste Hinweise auf nachhaltige Lernerfolge liegen vor. Gesichert ist, dass die Lernmotivation und Übungsintensität der Sorgenkinder vor allem durch die kleinen Lerngruppen und die individuelle Förderung gestiegen sind. 

Grundschulen in sozialen Brennpunkten haben die pädagogische Verantwortung für alle ihre belasteten Kinder.

Die Förderung und Unterstützung der belasteten Kinder erfordert eine gut durchdachte Struktur.

Die Struktur hängt von den jeweiligen Förderbedürfnissen der Kinder ab

Weiterführende Literatur

Helmke, A. (2009): Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Diagnose, Evaluation und Verbesserung des Unterrichts. Seelze-Velber. 


Munser-Kiefer, M. (2014): Leseförderung im Leseteam in der Grundschule. Eine Interventionsstudie zur Förderung von basaler Lesefertigkeit und (meta-)kognitiver Lesestrategien. Münster.